Ulrich Wagemester Vitus H. Weh
( Text ) ( Redaktion und Anmerkungen )
Roland Barthes beschreibt in seinem Buch "Die helle Kammer.
Bemerkungen zur Photographie" (Frankfurt/M. 1985) das Wesen der Fotografie
als eine Beglaubigung der Existenz (des Daß-Seins) als einem wirklich
Dagewesensein. Die Fotografie ist aber keine Beglaubigung der Essenz (des
Was-Seins), denn dieser Punkt ist immer von einer subjektiven Inszenierung
überlagert (Bildausschnitt, Linse, Blendeneinstellung, Filmmaterial
usw.). Was, so stellt sich die Frage, vermag diesbezüglich die Malerei?
Meine Arbeit besteht aus 48 Frauenporträts, Ölfarbe auf grundierter
Leinwand (Keilrahmen) im Format 70 x 55 cm. Die Bildvorlagen stammen aus
dem 25 bändigen
„Meyers Enzyklopädischem Lexikon“ (1972), von einigen Sites des Internets, von der Microsoft Lexikon-CD „ LexiRom “ und den „Berühmte Frauen Kalender 1997 “ und 1998, Suhrkamp TB-Verlag; aus der „Bunten“ des Burda Verlage. Die Auswahl der Frauen richtete sich allein nach ihrer Körperhaltung (24 rechts-, später 24 linksgerichtete). Daß für meine Bilder die „48 Porträts“ (1971/72) von Gerhard Richter als formale Folie dienen, soll durchaus ins Auge fallen. Sie sind die Basis, auf der ich meine Auseinandersetzung mit heutigen Bildwelten ansetzen möchte.
Über 25 Jahre sind seit Richters Ahnengalerie bedeutender Männer vergangen - eine Zeit, in der sich beispielsweise nicht nur das Geschlechterverhältnis geändert hat, sondern auch im Bildbereich eine kulturgeschichtliche Revolution stattfand, deren Auswirkungen noch gar absehbar sind.
Die Virtualität heutiger Bilder, ihre uneingeschränkte potentielle
Verfügbarkeit, die immer weiter um sich greifende Manipulierbarkeit
aller piktoralen Elemente und der damit einhergehenden Frage nach der Wahrheit
der Bildinhalte, ferner die Entfremdung durch instrumentalisiertes Handeln
- der PC-Benutzer stellt letztlich keine Bilder selbst her, sondern bedient
Programme, in denen Methoden der Bilderzeugung gespeichert sind -, all
das provozierte bei mir die Entwicklung eines Gegenprogrammes
Als Kompensation ist meine ästhetische Wertschätzung der unvermittelten,
sinnlichen Erfahrung von nuancierter Materialität und Körperlichkeit
enorm gestiegen. Es wuchs mein Verlangen, die digitalen Bilder aus ihrem
entmaterialisierten Zustand wieder zurückzuführen in eine Verkörperung
von einmaliger und zufälliger, durch fixe Raum- und Zeitpositionen
definierte Wirklichkeit
Meine 48 Vorlagen fotografischen Ursprungs wurden zunächst eingescannt
– ein Vorgang, bei dem das Foto stirbt: Im Computer liegt das Porträt
nicht länger als visuelles Abbild, sondern als numerischer Code im
Speicher vor. Die Aura des Analogen wird zerstört: Selbst wenn die
digitalen Bilder noch über ihre repräsentativen Werte erkennbar
bleiben, so werden sie doch nicht mehr als eine Übersetzung eines
raum-zeitlichen Moments gelten können.
Gleichsam als Wiedergutmachung habe ich die einzelnen Bilder dann vom Bildschirm abgemalt. Da durch die Digitalisierung der indexikalische Bezug des Fotos verloren gegangen ist, bekommt jeder Bildpunkt auf einmal die gleiche Wertigkeit. Es kommt gewissermaßen zu einer „Demokratisierung“ der Bildfläche. Daraus habe ich für mich eine Arbeitsethik entwickelt, die die Gleichbehandlung aller Bildteile erfordert. Spätere Übermalungen und Korrekturen sind nicht mehr machbar.
Neben der Methode ist die Zeiterfahrung in und bei der Herstellung der
Bilder wichtig. Die äußerst schnelle Bildproduktion und Verarbeitung
im digitalen Medium kehrt sich bei der Rematerialisierung in ihr Gegenteil.
Da die "Unschärfe" des digitalen Bildes nicht ein Verwischen von Konturen
ist, sondern ein fein abgestufter Farbverlauf, der mühsam erarbeitet
werden muß, ergibt sich eine extreme Verlangsamung des Malvorganges
Ich überziehe die Leinwand und den PC-Bildschirm mit einem Raster
und male mich Areal um Areal voran. Für ein Bild brauche ich etwas
mehr als eine Woche, dann sitze ich aber 12, 13 Stunden vor der Leinwand
- die Malmittel und Malmethode erlauben keine Unterbrechungen - hinzu kommt
noch die anschließende zeitintensive Reinigung der etwa 100
- 150 Pinsel, die ich für den aufwendigen Herstellungsprozeß
brauche.
|
Richters gleichformatige Männerporträts,
ebenfalls nach Lexikonfotos, wurden erstmals 1972 im deutschen Pavillon
auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Durch weichmodellierende Malerei
waren die hehren Größen einander angeglichen. Die gleichförmige
Reihung tat ihr übriges zur Nivellierung.
Bilder werden nicht nur im Zweidimensionalen manipuliert.
In Wagemesters Frauengalerie kommt beispielsweise auch
Christina Hance vor: sie arbeite jahrelang als Lady-Di-Double
Es liegt nahe, dieses Vorgehen mit der Mechanik
der Katharsis zu vergleichen: ein Mißstand läßt sich nur
läutern, wenn er nochmals, diesmal aber bewußt durchexerziert
wird.
Auffallend ist das Motiv der heilenden Handlung.
Im Unterschied zur Ikonenmalerei, die immer noch teilhat am „wahren
Bild“, der „vera
icona“, müssen „weltliche
Bilder“ wohl erst – und in diesem Punkt ist
die Ausgangslage von Richter und Wagemester trotz des zeitlich und technisch
verschiedenen Kontextes völlig gleich – den Durchgang durch die Entropie
und die größtmögliche Entfremdung nehmen.
„Die scheinbar körperlosen Bilder der Bildschirme
haben einen ubiqitären Platonismus bewirkt, gegenüber dem die
Piercing-, Bungee- und Körperkultwellen einen Gegenpol zu bilden versuchen.“
Dieses Zitat von Horst Bredekamp (in: kritische berichte 1/98, S. 88) ließe
sich durchaus ergänzen durch Phänomene, die im Bereich der E-Kultur
angesiedelt sind. Das neue Interesse an Tanztheater und Schauspielkunst,
an bibliophilen Buchausgaben und eben Malerei speist sich nicht zuletzt
aus der gleichen Quelle.
|
Home |